Neujahrsansprache an die Behörden des Landes
Sire, Seine Majestät,
Beste Kollegen,
Meine Damen und Herren,
im Namen der Regierung möchte ich Ihnen für das neue Jahr 2016 viel Erfolg und Glück wünschen.
Zunächst möchte ich Ihnen namens der Regierung meine besten Wünsche für 2016 aussprechen.
Diese Tradition ist Anlass sowohl zurück als auch nach vorne zu schauen.
Vor welchen Herausforderungen stehen wir?
Und was sind die Erfahrungen des zurückliegenden Jahres?
2015 war ein komplexes Jahr.
Mit tragischen Momenten. Und leider auch mit viel Trauer.
- Der Terrorismus zeigte sein wahres Gesicht. Mit Massakern quasi vor unserer Haustür. Feige Anschläge durch junge Männer, die hier groß geworden sind.
- Auch durch die Lage in Griechenland geriet das europäische Projekt unter Druck.
- Und durch das Mittelmeer gelangten Hunderttausende von Flüchtlingen nach Europa. Der größte Zustrom seit dem Zweiten Weltkrieg.
2015 war also ein Jahr mit großen Herausforderungen.
Allerdings bot dieses Jahr auch viele Chancen.
Unsere Bevölkerung hat sich großartig und würdevoll verhalten. Sowohl gegenüber der Bedrohungsstufe 4 als auch gegenüber dem Flüchtlingsstrom.
Wir können auch zufrieden darüber sein, wie die Politiker ihre Meinungsverschiedenheiten beiseitegelassen haben, um unsere fundamentalen Werte zu verteidigen.
Die Arbeit unserer Nachrichten-und Sicherheitsdienste, unserer Justiz, unserer Polizeibeamten und Soldaten vor Ort verdient unser Lob. Sie kümmern sich jeden Tag um unsere Sicherheit. Ihnen möchte ich im Namen aller danken.
Auch der Einsatz unserer Bevölkerung in der Flüchtlingskrise ist vorbildlich.
Wir haben Flüchtlinge menschenwürdig aufgenommen. Ohne Gewalt und unter Achtung unserer demokratischen Werte.
Die Gleichheit von Mann und Frau steht in unserem Land nicht zur Debatte.
Und wir werden es niemals zulassen, dass Frauen belästigt werden, weil sie eine Frau sind. Egal, ob es sich um einen Flüchtling oder um jemand anderes handelt.
Es kann keine Ausnahme gemacht werden, was unsere fundamentalen Rechte und Freiheiten anbelangt.
Ich bin schockiert darüber, was in Deutschland am Silvesterabend passiert ist.
Für uns ist eines ganz deutlich: Menschen, die unsere Gastfreundschaft missbrauchen, können keinen Schutz erwarten.
Jeder Flüchtling hat die Pflicht, unsere demokratischen Werte anzuerkennen. Und wir haben die Pflicht, nicht alles über einen Kamm zu scheren.
Wir dürfen also zu Recht stolz auf die Offenheit und Toleranz unserer Bevölkerung sein. Wir haben die Flüchtlinge würdig aufgenommen. Aber wir waren auch nicht naiv dabei.
Wir haben also eine menschliche und zupackende Politik verfolgt. Und die werden wir auch weiterhin verteidigen.
(Die Macht der Krisen)
Sire, Seine Majestät,
Meine Damen und Herren,
2015 war zwar komplex, hat uns jedoch auch viele Chancen geboten. Weg von der Immobilität. Auf zu den Lösungen.
Ich bin voller Vertrauen. Und das Vertrauen stützt sich auch auf die vielen positiven Signale, die wir erhalten.
Auch aus dem Ausland, von Investoren und internationalen Organisationen. Unsere Konjunktur erholt sich, und das sind für uns alle gute Nachrichten.
Es war auch ein Jahr lebendiger demokratischer Debatten. Natürlich mit Meinungsverschiedenheiten ... aber vor allem mit vielen Entscheidungen.
Parlament und Regierung haben ihre Rolle wahrgenommen. Dafür möchte ich jedem Einzelnen herzlich danken. Niemand wird bestreiten, dass wir heftige Debatten geführt haben. Zwischen Mehrheit und Opposition und selbst gelegentlich auch innerhalb der Mehrheit ...
Eine lebhafte Diskussion zeugt von der Vitalität unserer Demokratie ... und natürlich von der Pressefreiheit.
2015 war auch intensiv für die sozialen Aspekte der Demokratie.
Arbeitgeber und Gewerkschaften konnten sich in einer ganzen Reihe wichtiger Fragen einigen. Und ungeachtet der Differenzen zeigten die Sozialpartner dabei, dass sie dennoch in der Lage sind, Beschlüsse zu fassen.
Es war auch das erste Jahr, in dem die sechste Staatsreform durchgeführt wurde. Und auch ein erstes Jahr mit neuen Koalitionen. Dies bedeutet auch ein neues Gleichgewicht zwischen den Regionen und der föderalen Regierung.
Wollen wir ehrlich sein. Das alles war nicht immer einfach.
Die Debatten um die Finanzierung oder die Klimapolitik waren äußerst schwierig. Doch ich stelle fest, dass es uns trotzdem gelungen ist, uns in die richtige Richtung zu bewegen.
Und ich bin davon überzeugt, dass es uns noch besser gelingen kann …
Wir müssen unsere Bemühungen verdoppeln und Lehren aus der jüngsten Zeit ziehen, damit die Mechanismen der Zusammenarbeit noch besser funktionieren.
Meine Damen und Herren,
lassen Sie uns die föderale Zusammenarbeit weiter vertiefen. Ich plädiere mehr denn je für föderale Lösungen im Interesse aller Bürger.
Wir müssen also einen loyalen und kooperativen Föderalismus stärken. [Ich plädiere mehr denn je für föderale Lösungen im Interesse unserer Mitbürger.]
(Die Europäische Union, wertvoll und schwach zugleich)
Sire, Seine Majestät,
Meine Damen und Herren,
diejenigen, die im letzten Jahrhundert vor uns da waren, haben einen Traum Wirklichkeit werden lassen: das europäische Projekt.
Seit nunmehr 70 Jahren leben wir in Frieden und Wohlstand dank dieser einzigartigen Form der Kooperation unter Völkern, die sich bis dahin bekriegt hatten.
Dieses Projekt ist wertvoll, hoffnungsvoll aber auch zerbrechlich.
Und heute ist dieser europäische Traum bedroht.
Wir stehen vor einer Reihe von Herausforderungen, die ebenso schwierig wie existenziell sind.
Im vergangenen Jahr haben wir alles daran gesetzt, um die griechische Krise einzudämmen. Die Vertiefung der Wirtschafts-und Währungsunion kommt viel zu langsam voran. Wir müssen unsere öffentlichen Haushalte sanieren und zugleich Mittel bereitstellen, um Investitionen zu sichern und den Arbeitsmarkt zu stärken.
Wir sind auch die Zielscheibe von Fanatikern, die unsere Werte und unsere Lebensform zerstören wollen.
So lassen die tragischen Konflikte an der Südgrenze Europas und der Druck auf seine Außengrenzen alte Versuchungen wieder aufkeimen, innerhalb Europas erneut Mauern und Stacheldrahtzäune zu errichten. Dies schlägt Kerben in den europäischen Traum.
(Den Aufbau Europas fortsetzen)
Die Schaffung Europas ist integraler Bestandteil unserer Geschichte. Die Europäische Union hat unser tagtägliches Leben tiefgreifend verändert.
Wir wollen dieses Projekt weiterführen.
Frieden und freier Austausch in der Wirtschaft, der Kultur und am Arbeitsmarkt werden sich stets mehr auszahlen als Konflikte, Rivalitäten oder sonstige Formen des Protektionismus.
Wir sind eines der Gründungsländer der Europäischen Union. Oft waren wir sogar Pioniere.
Viele unserer Landsleute haben unermüdlich und an vorderster Front an der Umsetzung dieses europäischen Traums mitgewirkt.
Natürlich denke ich hierbei an einen der Gründerväter (Paul Henri Spaak), an den Präsidenten der Kommission (Jean Rey) und an den ersten ständigen Präsidenten des Europäischen Rats (Herman Van Rompuy).
(Die Krisen überwinden)
Trotz heftigen Gegenwinds bin ich davon überzeugt, dass das europäische Projekt unumkehrbar ist. Dieses Projekt ist allerdings verbesserungsfähig und erfordert sowohl die Fähigkeit, kurzfristig zu reagieren, als auch eine langfristige Vision zu haben.
Die eigentliche Stärke dieses Projekts befindet sich in seiner Fähigkeit, gestärkt aus Krisen hervorzugehen.
Der Aufbau Europas wird – wie auch bisher – nie reibungslos verlaufen.
Wir durchleben stürmische Zeiten.
Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten müssen mehrere Krisen gleichzeitig bewältigen, wobei diese die vitalen Komponenten betreffen: die Sicherheit, die Währung und den freien Verkehr von Personen.
Aus diesen Krisen ziehe ich eine Lehre:
Angesichts der sich verschiebenden Kräfteverhältnisse in der Welt und der Globalisierung der Herausforderungen bildet das europäische Projekt die solideste und sicherste Antwort.
Die Frage ist nicht, ob wir mehr oder weniger Europa brauchen.
Meine Überzeugung ist: Wir brauchen ein besseres Europa.
Ein besseres Europa bedeutet, unaufhörlich daran zu arbeiten, das Vertrauen unserer Mitbürger in dieses europäische Projekt wiederherzustellen. Und dieses Vertrauen lässt sich nur mit Taten und Ergebnissen, nicht jedoch mit Beschwörungen wiederherstellen.
Wir sind weder taub, noch blind. Die Krisen und die erforderlichen Anstrengungen, diesen zu begegnen, nährten Zweifel und Skepsis an der Legitimität und der künftigen Ausrichtung des europäischen Projekts.
Überall in Europa sind wir mit denselben Fragen konfrontiert …
- Wie gestalten wir unsere soziale Absicherung?
- Wie werden unsere Kinder morgen leben? Schlechter oder besser als wir heute?
- Wie können wir den Terrorismus bekämpfen und zugleich unsere fundamentalen Freiheiten schützen?
- Wie lassen sich Arbeit, Lebensqualität und persönliche Entfaltung miteinander verbinden?
- Wie kann man den Respekt vor der Diversität garantieren und zugleich die Kohäsion unserer fundamentalen Werte sichern?
Diesen legitimen Fragen müssen wir uns stellen.
Den Debatten um diese Fragen dürfen wir nicht aus dem Weg gehen.
Wir müssen überzeugende Antworten bieten.
Jean Rey verwies darauf, dass eine Gemeinschaft aus zwei Elementen bestehe: „einem spirituellen und einem institutionellen Element.“
Das spirituelle Element ist das, was die europäische Identität ausmacht. Denn das europäische Projekt ist vor allem eine Wertegemeinschaft. Deren Ursprünge finden sich in der Aufklärung und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.
Demokratie und der Rechtsstaat als Fundamente unseres wirtschaftlichen, politischen und sozialen Gesellschaftsmodells.
Doch zum europäischen Ideal gehören auch Solidarität sowie die Überzeugung, dass wir gemeinsam stärker sind, trotz aller Differenzen und Divergenzen.
Und nicht zuletzt das Streben nach Exzellenz. Dabei handelt es sich um den Willen, immer höhere Standards zu erreichen. Bei der Sozialgesetzgebung, dem Umweltschutz oder im Wirtschaftsleben.
Wir müssen der Europäischen Union den Platz geben, der ihr gebührt.
Wir sind nicht ihre Opfer, vielmehr sind wir ihre Erbauer, ihre Akteure.
Europa hat uns Frieden und Wohlstand gebracht.
Europa fördert Wissenschaft und Kultur.
Europa eint die Völker und überwindet Mauern.
Die demokratische Legitimierung ist zwar eine Grundvoraussetzung, doch reicht dies nicht aus.
Nur Taten und Ergebnisse können die Hinwendung zum europäischen Ideal stärken.
Die Sicherheit verbessern. Die soziale Absicherung fördern. Die steuerpolitische Harmonisierung voranbringen. Die Energiewende bewältigen. Oder auch die Migrationspolitik zu einem Erfolg führen … Das sind die komplexen und interessanten Herausforderungen, die unsere Generation in Belgien in Europa annehmen muss.
Sire, wir kennen ihr Engagement für die Jugend.
Paul-Henri Spaak erklärte 1957, er wolle mit der Unterzeichnung der römischen Verträge es der Jugend unserer Länder überlassen, die Versprechungen der Zukunft umzusetzen.
Heute, 60 Jahre später, müssen wir Mut und Entschlossenheit zeigen. Dies schulden wir der Jugend unseres Landes. Wir schulden es ihr, um die Versprechungen der Zukunft umzusetzen.
Sire, Seine Majestät, meine Damen und Herren,
Wir kennen die Herausforderungen und sind optimistisch. Optimist zu sein, bedeutet nicht, es abzulehnen, die Welt so zu sehen, wie sie ist. Vielmehr bedeutet es, es abzulehnen, vor der Welt, so wie sie ist, zu resignieren.
Es geht um unsere Sicherheit, um die Verteidigung unserer Freiheiten, die Einhaltung unserer demokratischen Grundwerte und die Stärkung unseres Gesellschaftsmodells.
„Alle Gewalt geht aus von der Nation“. Ein jeder von uns trägt einen wesentlichen Teil an Verantwortlichkeit. Damit sind wir alle verantwortlich für die Zukunft und das Zusammenleben unserer Mitbürger.
Wir dürfen sie nicht enttäuschen. Wir müssen uns entschlossen zeigen. Wir müssen wachsam sein. Dies ist unsere gemeinsame Pflicht.
Meine Damen und Herren,
wenn wir unsere Kräfte bündeln, fördern wir das Vertrauen in die Zukunft. Und wir bieten der Jugend Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Ich rufe Sie alle auf, die Kräfte zu bündeln. Wir müssen Hoffnung und Zuversicht ausstrahlen.
Durch die Bündelung unserer Kräfte stärken wir das Vertrauen in die Zukunft. Und wir geben der Jugend den Glauben an eine bessere Zukunft zurück.
Ich rufe alle gesellschaftlichen Kräfte auf, sich zu mobilisieren. Ich fordere jeden von Ihnen auf, gemeinsam die Flamme der Hoffnung und des Vertrauens zu tragen.
Ich danke Ihnen.