Reden

Rede des belgischen Premierministers Charles Michel

Rede des belgischen Premierministers Charles Michel Rede des belgischen Premierministers Charles Michel

Eure Majestäten,

meine Damen und Herren Staats- und Regierungschefs, königliche Hoheiten, Exzellenzen,

meine Damen und Herren,

Nach Nieuwpoort begrüße ich Sie tief bewegt hier in Ypern. Ich begrüße Ihre Anwesenheit an diesem historischen Ort. Ich danke Ihnen, dass Sie der Einladung Belgiens zu diesen Gedenkfeierlichkeiten gefolgt sind.

Die Menenpoort ist einer der Hauptorte des Gedenkens an den Ersten Weltkrieg in Belgien. Dieses Denkmal wurde zur Erinnerung an die Soldaten aus Großbritannien und aus dem Commonwealth errichtet, die hier gekämpft haben und die vermisst gemeldet wurden. Die Namen von 55.000 von ihnen hat man in diese großen Tafeln gemeißelt

Aber dieses Denkmal genügte nicht, alle Soldaten ohne bekannte Gräber zu ehren. Die Namen von 35.000 weiteren sind ganz in der Nähe auf dem Denkmal Tyne Cot zu lesen. Die Gedenkstätte Menenpoort ist Ausdruck des Willens der Überlebenden, dass sie alle in Frieden ruhen mögen, und ihre Aufopferung in Stein gemeißelt festzuhalten. 1927 schreib Feldmarschall Lord Plumer anlässlich der Einweihung dieses Denkmals: „They are not missing. They are here.“ Seit 1928 ehren die Bürger der Stadt Ypern die Gefallenen, für die sie jeden Abend um 20 Uhr das „Last Post“ blasen lassen. Es ist noch stets der täglich wiederholte Ausdruck von Dankbarkeit der Bevölkerung Yperns und durch sie aller belgischen Bürger.    

Eure Majestäten,

meine Damen und Herren Staats- und Regierungschefs, königliche Hoheiten, Exzellenzen,

meine Damen und Herren,

Belgien verfolgt mit der Organisation dieser Gedenkfeierlichkeiten mehrere Ziele. Zuallererst geht es darum, die Zivilisten und Soldaten zu ehren, die in diesem schrecklichen Konflikt gelitten haben, verwundet wurden oder das Leben verloren haben. Familien, Männer, Frauen und Kinder in aller Welt wurden von Unglück und Trauer getroffen. Ihrem Andenken wollen wir Ehre erweisen.

Vor 100 Jahren nahm der Krieg, der wenige Wochen zuvor ausgebrochen war, eine andere Wendung. Heute können wir uns nur sehr schwer die Anstrengung, die Hoffnungslosigkeit, die Wut, den Glauben und den Mut vorstellen, die diese Soldaten immer wieder motiviert, sie getragen und sie nach Wochen intensiver Kämpfe bis an die Yser geführt haben. Hier fanden sie leider nur eine kurze Atempause, als sie die Natur durch Überschwemmung der Ebene als Schutzwall gegen den unaufhaltsamen Angriff des Feindes nutzten.

Über Sie, die Repräsentanten Ihrer Länder, möchte ich vertretungsweise den zahlreichen Soldaten aus Afrika, Nord- und Südamerika, Asien und Ozeanien danken, die kamen, um auf unseren Ebenen zu kämpfen, die ohne es zu wollen in einen Konflikt gezogen wurden, mit dem sie eigentlich nichts zu tun hatten. Sie handelten aus Pflichtgefühl und Treue, die sie weit weg von Zuhause führten – viele von ihnen bis in den Tod.

Zukünftigen Generationen obliegt es, diese Pflicht zum Gedenken weiterzugeben. Hier in Belgien haben die Gedenkfeierlichkeiten der Forschung, der Vermittlung und der Analyse der Geschichte, neuen Schwung verliehen. Wie konnte es soweit kommen? Wer waren diese Entscheidungsträger und diese Völker? Wie konnte eine Kette unheilvoller Ereignisse zu einem solchen Drama führen? Und wie konnte dieses Drama mit einem Frieden enden, der der Nährboden für einen anderen Krieg war?

Das führt uns schließlich zu den Lektionen aus diesem Krieg. Wir können es uns nicht ersparen, nochmals daran zu erinnern, dass der Frieden einen Preis hat, dass er von den Menschen Investitionen und Opfer fordert. Den Frieden gibt es leider nicht umsonst. Wir müssen an ihm bauen, ihn Instand halten und ihn pausenlos verstärken. Die Welt von heute ist natürlich in jeder Hinsicht eine andere als 1914. Technologie, Wissenschaft, Bildung und viele andere Entwicklungen sorgen dafür, dass der Anfang des 20. Jahrhunderts inzwischen eine Sache der ganzen Welt ist. Trotzdem sind Konstanten zu erkennen. Eine davon ist die Neigung der Völker, in Unverständnis, Missverständnisse und viel zu oft den Krieg abzugleiten. Heute kennen wir nur zu viele Beispiele von Konflikten und Gewalt auf allen Kontinenten, die bei uns allen blind unsere Gesellschaften und unsere Werte angreifen. 

Eure Majestäten,

meine Damen und Herren Staats- und Regierungschefs, königliche Hoheiten, Exzellenzen,

meine Damen und Herren,

Für mich lautet das Fazit ganz einfach, dass der Frieden einer ständigen Anstrengung bedarf, und dass wir ihn ständig fördern müssen – überall und auf allen Ebenen. Er stellt eine Verpflichtung dar, die wir als einfache Bürger ebenso wie als verantwortliche Politiker zugleich individuell und kollektiv eingehen müssen. Wenn Wut und Egoismus aufkommen und sich Menschen in sich selbst zurückziehen, ist es gut, sich an diese Männer und Frauen zu erinnern, die vor hundert Jahren hier, in dieser Stadt und auf zahlreichen Schlachtfeldern in ihrer Umgebung gelitten haben oder gestorben sind.

Ich danke Ihnen für Ihre Anwesenheit und Ihre Ehrbezeigungen.