Rede vor der 73. Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York
Frau Präsidentin der Generalversammlung,
Herr Generalsekretär,
sehr geehrte Damen und Herren Staats- und Regierungschefs,
meine Damen und Herren Delegationsleiter,
meine Damen und Herren!
Einleitung
„Der einzige Weg, der Hoffnung auf eine bessere Zukunft für die gesamte Menschheit bietet, sind Kooperation und Partnerschaft.“ Diese Worte wurden von Kofi Annan an gleicher Stelle eingangs des 21. Jahrhunderts vor nunmehr 17 Jahren gesprochen.
In diesem Jahr jährt sich das Ende des Ersten Weltkriegs zum hundertsten Mal. Übersteigerte Rivalitäten, wirtschaftliche Spannungen, revanchistische Abschottungen führten zu Missverständnissen, Frustrationen und schufen vollendete Tatsachen.
Gescheiterte Dialoge und einseitige Aktionen führten zum Schlimmsten. Generationen wurden geopfert und die Hälfte des 20. Jahrhunderts war vom Schrecken zweier Weltkriege und des Totalitarismus zerstört. Hinzu kam die Schmach des Holocausts.
Es brauchte daraufhin die Weitsicht und den Mut einer Generation von Politikern, die einen Entwurf für eine internationale auf Werten und Regeln basierende Ordnung schufen.
Die Geburt der Europäischen Union und der Vereinten Nationen auf der Asche der Tragödie des letzten Jahrhunderts hat die Hoffnung auf eine bessere Welt eröffnet.
Die Europäische Union hat seither eine Zeit beispiellosen Friedens und Wohlstands durchlebt. Eine freie Wirtschaft auf der Grundlage eines fairen Wettbewerbs, Freizügigkeit, die Schaffung von Sozial- oder Umweltstandards sind nur einige der herausragenden Errungenschaften, die den Völkern Europas zugutekommen.
Die Europäische Union ist das Ergebnis eines unermüdlichen, manchmal komplexen, oft rigorosen Dialogs. Dieser Dialog basiert auf einem Anliegen, das weit über die nationalen Interessen hinausreicht. Dieses Anliegen ist das Versprechen der Gründerväter: Freiheit und Würde für jeden Bürger, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie als Bollwerk gegen staatliche Willkür. Dies sind die Säulen, die den Grundstein für Frieden und Sicherheit bilden.
Die Charta der Vereinten Nationen schreibt die Würde und Achtung aller Menschen fest. Ungeachtet ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihrer weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen sowie ihrer sexuellen Orientierung. Unsere universellen Werte sind der stärkste und verlässlichste Maßstab für die Bewältigung der Herausforderungen unserer Zeit.
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind die besten Garanten für die Verwirklichung der Grundrechte und -freiheiten.
Rechtsstaatlichkeit ist die Ablehnung der Willkür des Stärkeren gegenüber dem Schwächeren.
Rechtsstaatlichkeit bedeutet, für die Konsequenzen unseres Handelns einzustehen.
Rechtsstaatlichkeit ist die Verweigerung der Straflosigkeit.
Rechtsstaatlichkeit ist die Garantie, dass Wissenschaft und Wissen besser geteilt werden.
Den Menschen ins Zentrum rücken. Und die internationale Ordnung auf Regeln stützen. Das muss die Triebfeder des Multilateralismus sein.
Multilateralismus ist kein hohles Konzept, keine Worthülse. Ganz im Gegenteil. Es handelt sich um eine Überzeugung.
Ein unermüdlicher Dialog, auch mit denen, deren Überzeugungen wir nicht spontan teilen.
Multilateralismus bedeutet Kooperation und Verhandlungen.
Multilateralismus ist ein Kampf mit Ideen und Argumenten, nicht mit Waffen.
Multilateralismus bedeutet Verzicht auf Gewalt.
Wie Gandhi erklärte: „Die goldene Regel (allen Verhaltens) ist gegenseitige Toleranz, wir werden niemals alle auf die gleiche Weise denken, wir werden nur einen Teil der Wahrheit sehen und das aus verschiedenen Blickwinkeln.“
Meine Damen und Herren!
Verpflichten wir uns einer besseren Welt. Einer gerechteren, einer sichereren und nachhaltigeren Welt.
Wer glaubt im Ernst, dass die Summe der hier vertretenen 193 souveränen Staaten, von denen ein jeder unilateral handelt, auf wundersame Weise eine moralisch einwandfreie, effiziente Antwort auf unsere gemeinsamen Herausforderungen ergeben würde?
Das ist eine Illusion! Die gleiche Illusion, wie die, dass die unsichtbare Hand des Marktes durch Magie, wie von selbst, Fortschritt und allseitigen Wohlstand schaffen würde. Der Kapitalismus braucht Regeln. Die Menschheit auch.
Natürlich erfordert Multilateralismus Anstrengung und Geduld. Natürlich kann es Fehlschläge, manchmal auch Rückschläge geben. Doch der Multilateralismus ist der einzige Weg, um Armut zu beseitigen, Terroristen unschädlich zu machen und die natürlichen Ressourcen unseres Planeten zu schonen.
Mein Land bedauert, dass internationale Abkommen, die das Ergebnis harter und intensiver Verhandlungen waren, abrupt und einseitig über Bord geworfen werden können.
In nur wenigen Monaten wurden das Atomabkommen mit dem Iran, Handelsabkommen und das Klimaabkommen von Paris von einem der Unterzeichnerstaaten aufgekündigt.
Vertrauen und Kooperation zwischen souveränen Staaten bedingt Respekt für das gegebene Wort und die Erfüllung eingegangener Verpflichtungen. Die Geschichte hat gezeigt, dass das Gesetz der Stärkeren auf lange Sicht kein Volk wirklich schützt. Und dass die nachhaltigsten Lösungen, stets diejenigen sind, die ausgewogen und weitgehend akzeptiert sind.
Der Iran stand kurz davor, Atomwaffen zu erwerben. Die Verhandlungen auf dem Weg zu einem Kompromiss waren lang und schwierig. Es erforderte von allen Seiten Mut und die Überwindung von tiefem Misstrauen und Feindseligkeit. Dieses Abkommen ist nicht perfekt, da es das iranische Ballistik-Programm nicht erfasst. Die IAEA-Inspektionen belegen, dass der Iran seinen Verpflichtungen nachkommt.
Sollte dieser Vertrag im Namen seiner Unvollkommenheit in der Versenkung verschwinden? Nein, im Gegenteil. Neue multilaterale Verhandlungen müssen im Hinblick auf seine Vervollständigung eröffnet werden.
Einseitige, brutale und unberechenbare Handlungen machen die Welt gefährlicher. Sie verursachen Ungleichgewichte und Frustrationen. Dies ist stets die Saat für neue Konflikte.
Dialog und Verhandlungen mit gegenseitiger Achtung machen uns alle stärker. Miteinander in Dialog treten, um unsere Konflikte zu klären, sie zu lösen und für unsere Mitbürger bessere Ergebnisse zu erzielen.
Die Vereinten Nationen arbeiten seit siebzig Jahren unentwegt an der Entwicklung und Verbesserung einer Welt, die auf gemeinsamen Grundwerten beruht.
Die Herausforderungen zu erkennen, Strategien zu entwickeln und vor allem zu handeln, das ist unsere Pflicht.
Unsere Organisation verfügt über ein unermessliches Potenzial. Und an dieser Stelle begrüße ich das intelligente, energische und unermüdliche Handeln unseres Generalsekretärs Antonio Guterres.
Frau Präsidentin,
meine Damen und Herren!
Mein Land hat sich in seiner gesamten Geschichte stets darauf verpflichtet, „für den Frieden zu wirken und Konsens zu schaffen.“ Von dieser Überzeugung getragen wurde Belgien für die nächsten zwei Jahre zum nichtständigen Mitglied des Sicherheitsrats gewählt. Wir werden diesem Vertrauensbeweis gerecht werden.
Wir werden sicherstellen, dass der Dialog mit allen Akteuren gestärkt wird. Wir möchten eine respektvolle und transparente Debatte fördern, um den Geist des gegenseitigen Vertrauens zu fördern.
Meine Damen und Herren!
Wir werden für Sicherheit, Wohlstand und den Schutz unseres Planeten eintreten.
1. Kollektive Sicherheit
Die kollektive Sicherheit ist die Grundvoraussetzung. Der gesunde Menschenverstand verlangt von uns, Konflikte zu verhindern, wann immer dies noch möglich ist. Wir unterstützen ein permanentes Monitoring aller Gewaltindikatoren. Sowie die Einrichtung eines Frühwarnmechanismus.
Schwere Menschenrechtsverletzungen dürfen uns nicht gleichgültig sein. Manipulationen oder Fälschungen von Wahlergebnissen, die Verletzung der territorialen Integrität oder die Androhung von Gewalt sind stets Warnsignale für einen zukünftigen Konflikt.
Die Suche nach einer friedlichen und politischen Lösung muss immer im Mittelpunkt unseres Handelns stehen. Frieden erhaltende Einsätze müssen stets Teil eines glaubwürdigen politischen Rahmens sein.
Und es sei hier gesagt: Die Präsenz von Blauhelmen vor Ort darf nicht zum Deckmantel politischer Resignation werden. Weder in einer Konfliktzone, noch auf regionaler oder internationaler Ebene.
Jede Friedensmission muss regelmäßig hinsichtlich ihres tatsächlichen Beitrags zur Verwirklichung des politischen Projekts im besten Sinne des Wortes bewertet werden.
Belgien wird seinen loyalen Beitrag zu den verschiedenen Operationen fortführen, die zur Umsetzung der Resolutionen des Sicherheitsrats durchgeführt werden (MINUSMA, europäische technische Missionen in Afrika und bilaterale Ausbildungsprogramme mit mehreren afrikanischen Partnern).
Frau Präsidentin!
Entsprechend unserer Selbstverpflichtung werden wir den Schutz der Schwächsten in bewaffneten Konflikten zum Kern unseres Sicherheitsratsmandats machen. Der Schutz von Zivilpersonen, insbesondere von Kindern, die Würde und Achtung der Frauen, die Sicherheit von Schulen und Krankenhäusern sowie die humanitären Korridore sind aus unserer Sicht absolute und essentielle Prioritäten.
Wir dürfen das Unannehmbare nicht hinnehmen. Diejenigen, die diese fundamentalen Prinzipien des humanitären Völkerrechts zynisch missachten, müssen bestraft werden.
Der Kampf gegen Straflosigkeit muss auch die Wiederherstellung des Zusammenlebens nach dem Ende des Konflikts beinhalten.
Ein friedvolles, harmonisches Zusammenleben ist eine existenzielle Herausforderung im Nahen und Mittleren Osten. Die Tragödien, die sich vor unseren Augen in Syrien, Libyen und im Jemen abspielen, machen uns das Ausmaß des Weges, der noch zurückgelegt werden muss, überdeutlich.
Wir werden es nicht tolerieren, dass diese Länder Schauplatz eines grausamen und unwürdigen Spiels sich bekriegender Nationen bleiben. Ohne jede Rücksicht auf die daraus resultierenden humanitären Tragödien.
Fünfundzwanzig Jahre nach der Unterzeichnung des Oslo-Abkommens steht der Friedensprozess im Nahen Osten still.
Die Besessenheit, mit der vollendete Tatsachen geschaffen werden sollen, in völligem Widerspruch zum Völkerrecht, macht die Schwierigkeiten noch größer. Und lässt den Frieden in noch weitere Ferne rücken.
Wir halten an unserer Unterstützung für eine Lösung mit zwei unabhängigen Staaten fest, die beide in Frieden und Sicherheit leben.
Die Verbreitung von nuklearen, chemischen oder anderen Massenvernichtungswaffen stellt eine ernsthafte Bedrohung für die Zukunft der Menschheit dar. Wir werden uns weiterhin uneingeschränkt für die Bemühungen um eine Nichtverbreitung solcher Waffen einsetzen. Wir müssen das rechtliche Instrumentarium weiter ausbauen und die Einhaltung eingegangener Zusagen streng überwachen.
2. Wohlstand – nachhaltige Entwicklung
Wir wollen eine Welt mit mehr Wohlstand, deren Entwicklung besser geteilt wird. Die Freiheit zu unternehmen, zu innovieren, zu schaffen und Handel zu treiben. Die Fortentwicklung von Wissenschaft und Wissen und die Ablehnung von Obskurantismus stellen nach wie vor die Grundlage für die Entwicklung und Verbesserung der Lebensbedingungen dar. Die Digitalwirtschaft und die Revolution der künstlichen Intelligenz haben ihren Anteil an den Ängsten und Unsicherheiten der Menschen. Vor allem aber bieten sie neue Chancen auf eine bessere Welt. Es ist an uns, diesen Fortschritt in den Dienst aller zu stellen. Und ich gratuliere dem Generalsekretär zu seinen Initiativen für eine digitale Kooperation. Wir müssen auch jederzeit und überall die Bemühungen um Governance, Transparenz und Korruptionsbekämpfung unterstützen.
Seit Jahrhunderten bereits fördert der Handel den Frieden zwischen den Völkern.
Der Handel schafft gegenseitiges Verständnis, bedingt Respekt für Kulturen und Traditionen und sorgt für einen Austausch von Erfahrungen.
Handel und Wohlstand. Wohlstand und Frieden. Frieden ist die Voraussetzung für Freiheit und Emanzipation. Der Freihandel muss auf einem gesunden und fairen Wettbewerb, einem wechselseitigen level playing field mit ehrgeizigen Sozial- und Umweltstandards beruhen.
Das jüngste Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada, das trotz vieler Widerstände zustande kam, bietet diese Garantien. Ich bin beeindruckt von den schnell zustande gekommenen Ergebnissen, die zudem neue Jobs und neue Investitionen nach sich ziehen werden. Also ein besserer sozialer Schutz und mehr Freiheit.
Meine Damen und Herren!
Noch vor 2050 dürfte der afrikanische Kontinent 2,5 Milliarden Einwohner zählen. Jeder vierte Erdenbewohner wird Afrikaner sein.
Mein Land setzt -sich seit Langem für eine neue, globalere, dynamischere und ehrgeizigere Partnerschaft mit dem afrikanischen Kontinent ein.
Afrika besitzt ein enormes Potenzial. Die Energie, die Landwirtschaft, die Infrastruktur, das digitale Angebot bieten zu wenig genutzte Möglichkeiten.
Ich rufe dringend zu einer heiligen Allianz Afrika-Europa auf. Eine starke und nachhaltige Allianz für die Entwicklung unserer beiden Kontinente. Im Dienste unserer Völker. Eine Allianz für Investitionen, für Handel, für Arbeitsplätze in Afrika und Europa.
Wir müssen die Widersprüche der Vergangenheit hinter uns lassen. Alte Wunden müssen geheilt werden. Wir müssen eine Partnerschaft frei von Nostalgie oder Schuldgefühlen schaffen.
Lassen Sie uns die Wohltätigkeit aufgeben, die zwar ein gutes Gewissen einbringt, aber vor allem Demütigung beinhaltet. Lassen Sie uns eine Strategie ebenbürtiger Partner entwickeln, die auf den gemeinsamen Werten der Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Achtung unserer Mitbürger fußt. Wir müssen auf die Logik der Ziele und Ergebnisse setzen.
In zehn Jahren können wir, wenn wir es wollen, ein Gebiet beispiellosen und nicht gekannten Wohlstandes schaffen.
Ich plädiere für ein ehrgeiziges interkontinentales Freihandelsabkommen, für eine globale und wechselseitige Partnerschaft, von der wir alle profitieren.
Meine Damen und Herren!
Die Agenda 2030 mit ihren 17 nachhaltigen Entwicklungszielen ebnet den Weg hin zu einer besseren Welt. Alles ist da: Armutsbekämpfung, Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung, Gleichstellung der Geschlechter, Bekämpfung des Klimawandels usw.
Die einzige Option besteht darin, uns dieses gemeinsame Programm zu eigen zu machen. Die einzige Option ist die allgemeine Mobilisierung rund um diese Ziele.
Wir alle müssen auf allen Ebenen die Ärmel hochkrempeln, Entscheidungen treffen, Maßnahmen ergreifen. Der Countdown läuft. Es ist höchste Zeit. Die Ergebnisse sind unverzichtbar.
3. Klima und Umwelt
Meine Damen und Herren!
Der Klimawandel kennt keine Grenzen. Die natürlichen Rohstoffe sind begrenzt. Und die Zahl der Menschen auf der Erde nimmt weiter zu.
Die Sturheit, mit der einige die Realität des Klimawandels leugnen, entspricht der Sturheit derjenigen, die seinerzeit verneinten, dass die Erde rund ist.
Wohlstand muss nachhaltig sein. Er darf nicht länger auf frenetischer und selbstsüchtiger Ausbeutung unserer wertvollen Ressourcen beruhen. Die Ozeane, die Artenvielfalt, die Qualität unserer Luft, unsere Gesundheit ... sind wertvolle Güter, die es zu schätzen und respektieren gilt.
Die Zahl der Naturkatastrophen nimmt zu. Sie werden immer spektakulärer, immer tödlicher.
Vor ein paar Wochen im indischen Kerala zerstörten Fluten unvorstellbaren Ausmaßes für immer das Schicksal von 450 Menschen und erforderten die Umsiedlung von einer Million Menschen, die obdachlos geworden waren.
Die bedrohlichen Auswirkungen des Klimawandels werden Konflikte verursachen oder verschärfen. In Westafrika führt der Zugang zu Wasser zu wachsenden Spannungen zwischen Viehzüchtern und Landwirten mit der Gefahr einer Eskalation auf der Grundlage von Ethnizität und Identität.
Angesichts dieser existenziellen Herausforderung für unsere Kinder tragen wir eine gemeinsame Verantwortung. Als Einzelne können wir nichts machen. Gemeinsam ist alles möglich.
Das Pariser Klimaabkommen muss umgesetzt werden. Wir alle müssen unsere Gewohnheiten aufgeben und unser Verhalten anpassen. Aber es wird sich auszahlen. Die Zukunft der Menschheit steht hier auf dem Spiel.
4. Migration
Meine Damen und Herren!
Seit jeher haben sich Menschen bewegt. Dieses Land, in dem wir heute tagen, ist dafür ein großartiges Beispiel. Männer und Frauen aus fernen Ländern auf der Suche nach einer neuen Welt haben eine freie und wohlhabende Nation aufgebaut.
In diesem Jahr haben wir eine Rekordzahl von Migranten verzeichnet.
Es geht nicht darum, für oder gegen ein unvermeidliches Phänomen zu sein. Es geht darum, dieses strukturiert zu bewältigen sowie Ängste, Spannungen und Konflikte abzubauen.
Wir müssen die Migration aus den Klauen von Schleusern und Menschenhändlern befreien, den widerwärtigen Sklaventreibern der Neuzeit.
Wir dürfen nicht in die Falle der bewussten Irreführung tappen, die von Populisten aller Art, ganz links und ganz rechts, gestreut wird.
Mein Land kommt seinen humanitären Pflichten nach, indem es in den letzten drei Jahren mehr als 45.000 Menschen internationalen Schutz und Flüchtlingsasyl geboten hat. Das ist übrigens erheblich mehr als früher.
Ich bin für eine effiziente Rückführungspolitik für alle, die die international vereinbarten Bedingungen nicht erfüllen.
Es ist an der Zeit, über legale und geordnete Formen der internationalen Mobilität nachzudenken. Zum Beispiel, um Studenten die Möglichkeit zu bieten, ein Studium zu machen und dann wieder zurückzukehren oder aus anderen wirtschaftlichen Gründen.
Mein Land wird im Dezember in Marrakesch den globalen Pakt für Migration unterzeichnen. Dieser Text ist ein großer Schritt vorwärts. Er klärt die verschiedenen Konzepte und bildet einen Hebel für eine organisierte und kontrollierte Verwaltung der internationalen Mobilität.
Eigentlich ist es so: Extremisten und Menschenhändler spielen dasselbe schmutzige Spiel. Sie instrumentalisieren und nähren das Migrationsthema. Die einen tun dies im Hinblick auf Wahlen und zu politischen Zwecken. Die anderen aus niederem Gewinnstreben heraus.
Frau Präsidentin,
meine Damen und Herren!
Frieden ist unser wertvollstes Gut. Frieden erfordert zu allen Zeiten Mut und Wachsamkeit.
Kein Kontinent, kein Land ist gegen das Gift der Angst vor dem Anderen, gegen Hass oder Egoismus immun.
Wir sind alle unterschiedlicher Herkunft, mit unserer eigenen Geschichte, Kultur, unseren eigenen Traditionen. Mit unseren Gefühlen, die aus den Wurzeln unserer Vergangenheit herrühren.
Die unverzichtbare Erinnerung muss unserer Umsicht dienen.
Die Erinnerung bietet uns die Kraft, um den Herausforderungen unseres Jahrhunderts zu begegnen.
Diesen Herausforderungen sind keine Grenzen gesetzt. Fortschritt, Kampf gegen den Terrorismus, Klimawandel usw. Kein Land, so groß seine wirtschaftliche oder politische Macht auch sein mag, kann dies auf Dauer alleine bewerkstelligen.
Über unsere Unterschiede hinaus haben wir für immer und alle Zeiten eines gemeinsam. Das Menschsein. Jeder Mensch ist schon allein durch seine Geburt frei. Seine Würde muss anerkannt und geachtet werden.
Dieser Grundwert ist die elementare Voraussetzung, um die Welt kontinuierlich hin zu mehr Hoffnung, zu mehr Optimismus zu führen.
Unsere Methode ist der Glaube an einen engagierten und kreativen Multilateralismus. Wir verweigern uns jeglicher Form von Immobilität und Resignation. Das Beste ist in uns.
Recht und Ordnung statt Gewalt.
Toleranz statt Egoismus.
Wissen statt Obskurantismus.
Respekt vor dem Anderen statt Hass.
Das ist das Credo meines Landes.
Wir sind ein loyaler und engagierter Partner. Und wir werden keine Mühen scheuen, um eine sicherere, gerechtere und nachhaltigere Welt zu schaffen.
Ich danke Ihnen.